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the apes

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Die Affen / The Apes

— a short story —
— german only – until now —


2014-05-14 Arbeitstitell: Das Konndohm und die Affen



Auf dem Heimweg nach einer weiteren friss-dich-gesund-Etappe ging ich futtertrunken Richtung Heimat. Rein in die U1, erste Tür, hinsetzen,

Puuhh…

Konnt' mich kaum bewegen, so voll war ich.

In der Bahn zeigt sich das altbekannte, beinahe immergleiche Spiel. Viele gut erzogene Erwachsene, die bloß keinen stören wollen, deswegen stillschweigend herumsitzen und sich irgendwomit ablenken.

Buch, Zeitung, Smartphone, Berliner Fenster.

Egal.

Hauptsache irgend ein Input.

Irgendwas, was mich davon ablenkt, dass ich hier verdammt nah mit verdammt vielen Menschen in ein gefühltes Vakuum zum Körpertransport gesteckt wurde, um möglichst effizient von A nach B zu kommen.

Irgend ein Input,

der mich doch bitte davon ablenke, dass ich hier wohl die nächste halbe Stunde Menschen gegenübersitze, denen ich vielleicht gar nicht gegenübersitzen möchte.

Also schnell das Handy an,

sonst macht sich vielleicht ob dem eigenen, scheinbar machtlosen Ausgeliefertsein der Situation vielleicht noch schlechte Laune breit.

Kurz bevor die Bahn losfährt, springen noch zwei lauthals kommunizierende Kids in die Bahn. Jungs, vielleicht so 12 / 13 Jahre alt.

Voll lebendig.

Sie unterhalten sich laut und schnell und ignorieren schlichtweg die gedrückte Stimmung der trägen, erwachsenen Masse, die da so brav abgestellt, abwartend und hinnehmend herumsitzt.

Ein, zwei Stationen später werden ein paar Sitzplätze frei. Einer der beiden Jungs setzt sich mir schräg gegenüber hin. Er hat einen riesigen Luftballon in der Hand, mit dem er freudig rumspielt, als wär es ein

Riesenschwanz.

Penis.

Phallus.

Ihr wisst schon!

Ich schaue genauer hin:

Na klar!

Das ist natürlich auch kein Luftballon!

Das ist ein bis zum Zerbersten aufgeblasenes Kondom!

Ich muss lachen.

… und denke an meine Jugend zurück. Weil die dröge Frontalbeschallung in der Schule so unterfordernd, langweilig und abstoßend war, mussten wir uns immer allerlei Spielchen ausdenken, um uns selbst bei Laune zu halten.

Da gab es natürlich auch bei uns Jungs die Kondom-Phase.

Ruben, Marko, Falk und ich haben die Kondome im Spar-Markt paketeweise geklaut und an den Wasserhähnen in den Gängen der Schule schön prall mit Wasser gefüllt.

Dann Fenster auf – und raus damit!

Bääm!

Möge die Gravitation ihrem Wirken nachgehen und die ihr anvertraute Aufgabe mit Freude und Bravour leisten.

Dies tat sie stets. Sie war immer auf unserer Seite, hat immer ihren Auftrag erfüllt, ohne auch nur einmal zu murren. Egal, wie unsinnig unser Unterfangen auch war, egal, ob wir aus dem Fenster spuckten oder halt die Kondome der Erdanziehungskraft überließen.

Bei dem Experiment wussten wir nie genau, wo auf dem Hof das Kondom zerschellen würde.

Ob sich zufällig (?) vielleicht gerade Lehrer oder Schüler in der Nähe des Landeplatzes aufhielten? Oft fanden wir es nicht heraus. Die zum Auswurf der Bomben genutzten Fenster waren beim Aufprall längst verschlossen und wir lauschten aufmerksam, um aus eventuellen Schreien ggf. Rückschlüsse über den Erfolg unseres Experimentes ziehen zu können.

All diese Geschichten, Erinnerungen und einzelne Bilder tauchen in meinem Bewusstsein wieder auf, während ich den lebendig spielenden Jungen beobachte.

Er schiebt – 'tschuldigung: reibt – mit seinen Händen an dem Riesenkondom hin und her – hoch und runter – wie man das halt so macht – und freut sich tierisch dabei.

Während er das so tut, trällert er eine vermutlich spontan und frei erfundene Melodei fröhlich vor sich hin.

Ich schaue ihn mir genau an und bin begeistert:

Strahlend blaue Augen, leuchtend, kraftstrotzend, voller Leben!

Wahnsinn, denke ich, dieses Leuchten hatten wir alle mal in den Augen.

Doch irgendwie scheint es irgendwo unterwegs verloren gegangen zu sein … Nur die wenigsten, älteren Herrschaften scheinen es sich erhalten haben zu können.

Die meisten wirken eher … naja … irgendwie … tot.

Der Junge, dessen Abstammung ich irgendwo bei Sinti/Roma festmache, bleibt seiner lebendigen Energie treu, reibt und treibt weiter das Spielchen mit seinem Kondom und singt und summt gar fröhlich weiter…

»Schwieriges Alter«,

sagt plötzlich eine ältere Dame, die hinten links auf meiner Bank sitzt.

Ich kann sie kaum sehen. Zwischen uns sitzen zu viele Menschen, die mir das Sichtfeld versperren.

»Ach!«, widerspreche ich lauthals: »Das schönste Alter!«

Ich lächle dem Jungen verschmitzt zu.

Er blickt freudestrahlend zurück – und spielt weiter.

Irgendwann zerplatzt natürlich das Kondom.

Auf die Gesetze der Physik ist halt Verlass. Ein paar Einzelteile können nicht an sich halten und verteilen sich im näheren Umkreis im Waggon. Ein Stückchen Kondom landet bei besagter Dame auf dem Schuh.

Der Junge nimmt Kontakt zu ihr auf, um sie darauf hinzuweisen, dass sie da etwas an ihrem Schuh habe:

»Hallo!«

sagt er.

Doch sie – wie sie es wohl gelernt hat – ignoriert ihn und tut, als hätte sie ihn

a)   nicht gehört, als wäre sie
b)   nicht gemeint, als ginge sie das
c)   alles gar nichts an, als wäre sie
d)   gar nicht hier.

Jetzt wird es spannend!

Ich beuge mich weit vor, weil ich natürlich neugierig bin und sehen möchte, wie diese Frau sich bemüht – und ob sie es vielleicht sogar schafft – die Wirklichkeit zu ignorieren – auszublenden – und wie sie dabei ausschaut.

Kann man entspannt bleiben, wenn man sich so verstellt?

Doch selbst in der Vorbeuge kann ich sie nicht richtig sehen.

Allen ist klar, dass er Kontakt zu ihr aufnehmen möchte und meine Neugier will sich auch nicht beruhigen. Also beuge ich mich noch einmal vor – und zwar so weit, wie ich – ohne aufzustehen – komme. Vielleicht kann ich ja so etwas mehr erkennen?

Richtig gut kann ich sie noch immer nicht sehen.

Sie sitzt halt so da.

Also lehne ich mich wieder zurück, schaue dem Jungen in die Augen und zucke mit den Schultern, als wolle ich ihm sagen:

Keine Ahnung, warum sie dich nicht hört.

Du bist laut genug, und sie ist definitiv hier und sitzt da auf der Bank, dir schräg gegenüber. Das hab ich gerade überprüft. Also theoretisch müsste deine Nachricht zur Kontaktaufnahme bei ihr ankommen.

Da er jetzt einen

Erwachsenen Spielgefährten

gefunden hat, wagt er sich weiter vor:

Er pfeift sie ein-zweimal direkt an.

Sie bleibt steif.

Stur.

Stumm.

Dann klopft er ihr mit dem Zeigefinger auf das linke Knie, um sie darauf hinzuweisen, dass sie da unten an ihrem Schuh etwas habe. Sie antwortet harsch:

»Du hast es rumgeworfen, also kannst du es auch aufheben!«

»Puuuuhhh,« denke ich, »eine wahrhaft entspannte Alte…«

Die Bahn fährt im U-Bahnhof Prinzenstraße ein.

Ich will hier raus.

Also erhebe ich mich und gehe Richtung Tür.

Da die gute Frau ihre Niederlage wohl nicht einstecken möchte, sagt sie noch, resümmierend und mit einer gewissen Siegessicherheit in ihrer Stimme:

»Also weit vom Affen ist das nicht entfernt!«

Ich drücke den Türöffner und entgegne ihr laut, mit klarer und geerdeter Stimme:

»Sind Sie auch nicht!«

 

Ups.

 

»Sind wir alle nicht.«





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